Diese Aussage hörst du öfter in Interviews, wenn durchaus gestandene WRC-Fahrer nach ihrem Abflug von der Ideallinie befragt werden. Und genau diese Aussage beschreibt auch sehr schön die Tatsache, dass der Inhalt dieses Beitrages nicht nur für Rallye-Beifahrer interessant ist, sondern auch für den Rallye-Piloten hinter dem Steuer seines Boliden. Es geht um die Inhalte des Rallye-Aufschriebs, das sogenannte „Gebetbuch“.
Früher, in der ersten Hälfte der 80er Jahre, den „goldenen Zeiten“ des Rallyesports, erklärten die tollkühnen Helden der Gruppe-B-Rallyemonster mit wilden Gesten der Presse, was passiert war. Onboard-Cams waren eine Ausnahme, so dass eine Überprüfung so mach’ abenteuerlich klingender Erklärung auch gar nicht möglich war.
Früher kannten die Fahrer die Wertungsprüfungen auswendig
Sicherlich gab es auch damals fehlerhafte Schriebe oder Beifahrer, die mit dem Lesen nicht nachkamen oder den „Faden“ im Schrieb verloren hatten. Allerdings hatte das nicht zwangsweise die Auswirkung wie heute. Das hatte einen simplen Grund: Die Fahrer kannten die Wertungsprüfungen praktisch auswendig.
Walter Röhrl, Markku Alen, und weitere Helden meiner Jungend fuhren die Prüfungen 3 Wochen vor der Veranstaltung Nachts quasi auf Bestzeit. Nach 20 oder 30 Überfahrten kannten diese Jungs die Strecken auswendig. Das war keine Streckenerkundung wie heute, bei der ein 3maliges Abfahren mit 70 km/h erlaubt ist, sondern ein regelrechtes „Training“ auf annähernd Bestzeit.
In den Bergen oberhalb von Sanremo warteten die Fans Nachts an der berühmten Kreuzung unterhalb des Monte Ceppos mit dem „Röhrl Kiosk“, um vielleicht einmal mitfahren zu dürfen. Rallye war hier für die Fans – und auch die Anwohner – ein „Event“, das zelebriert werden wollte. Atmosphäre pur!
Keine Zuverlässungskeitsprüfung mehr, sondern Sprintrennen
WM-Teams heute haben mit ihren Hightech-Rallyeautos eine wesentlich höhere Leistungsdichte. Der Fortschritt der Ingenieure, insbesondere auch bei der Fahrwerkstechnik, macht die Autos heute ungleich schneller als zu den Gruppe-B-Zeiten. Die Fahrzeuge sind heute optisch und technisch fast „alle gleich“. Auch über den Sound sind sie von den Fans nicht wirklich mehr in der Distanz zu unterscheiden. Daher sind die Fahrer heute stets gezwungen, „auf Messers Schneide“ zu kämpfen und damit zählt jedes noch so kleines Detail im Aufschrieb. Denn nur so können die entscheidenen Zehntelsekunden gegenüber der Konkurrenz herausgefahren werden.
Dazu fällt mir gerade ein, mit welchem Vorsprung ich bei meiner allerersten Rallye als Beifahrer, der Deutschland-Rallye 1984, den Klassensieg errungen habe: Nämlich mit sage und schreibe 23 Minuten! Heute völlig undenkbar. Die Zeiten, in denen der Rallyesport eine „Zuverlässigkeitsprüfung“ für Mensch und Material waren, sind endgültig vorbei. Heute sind Rallyes defacto ein Sprintrennen.
Anhand dieser Ausführungen erkennst du die Notwendigkeit, absolut exakte Aufschriebe anzufertigen. Äußerst präzise Angaben sind mehr gefragt denn je.
Bestandteile und Symbole im Aufschrieb – Die Ansagen des Rallye-Beifahrers
Der Aufschrieb ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Der Fahrer diktiert bei der Streckenbesichtigung, auch „Recce“ – umgangssprachliche Abkürzung des englischen Wortes „reconnaissance“ – genannt, dem Beifahrer alle Details der Strecke.
Ein Richtig oder Falsch gibt es nicht. Die Systeme sind je nach Fahrer sehr individuell. Wichtig ist, dass beim Vorlesen während des Wettbewerbs der Fahrer die Ansagen richtig und schnell in ein Bild umsetzen kann.
Merke: Du notierst immer, was dir dein Fahrer diktiert.
Nur so gelingt es ihm, schnell durch unbekanntes Gelände zu fahren.
Du als Copilot musst dabei im richtigen Tempo und im richtigen Zusammenhang die Notizen vorlesen.
Jede Kurve, jede Notiz besteht grundsätzlich aus 4 Elementen:
- Entfernung
- Richtung
- Radius
- Zusatz
In diesem Beispiel:
1: 30 Meter
2: Kehre rechts
3: 3 minus
4: über Brücke
Entfernungsangaben im Aufschrieb
Die Entfernungsangaben zwischen den Symbolen erfolgt in Metern.
Diese können entweder durch den Fahrer geschätzt werden oder du misst sie mit dem Wegstreckenzähler („Tripmaster“).
Eine sehr empfehlenswerte Einrichtung dazu ist der „Monit GPS“ Wegstreckenzähler. Du kannst ihn bei der Streckenbesichtigung mit einem Saugnapf in der Frontscheibe des Autos befestigen. Anschließend wird er während des Wettbewerbs im Rallyeauto montiert. Die Präzision des GPS-Detektors ist wesentlich höher als beispielsweise in einem Smartphone oder Tablet aber auch in einem herkömmlichen Navigationsgerät.
Das garantiert keinerlei Abweichungen bei den Entfernungsangaben. Ich werde über dieses tolle Ding in einem weiteren Blogartikel berichten.
Je nach örtlichen Gegebenheiten, zum Beispiel bei unmittelbar aufeinanderfolgenden Kurven, kann die Angabe in Metern auch durch beschreibende Informationen ersetzt werden:
- Eingang
- in
- sofort
Wenn die Kurven in sehr kurzen Abständen (10 Meter) folgen, erfolgt keine Angabe von Entfernungen.
Beschreibende Informationen als Zusätze im Aufschrieb
»80 links Eingang in Kehre rechts zwo minus«
Bevor die eigentliche Rechtskehre folgt, macht die Straße vorher noch einen leichten Linksbogen.
»rechts drei in links drei plus lang lang macht zu«
Nach der Rechtskurve geht es direkt, ohne das ein gerades Straßenstück dazwischen liegt, in die Linkskurve über. Beide Kurven müssen komplett ausgefahren werden.
»rechts drei sofort links drei plus«
Unmittelbar nach der Rechtskurve folgt die Linkskurve, sodass die Rechtskurve nicht bis zum Ende ausgefahren werden kann.
Richtungsangaben im Aufschrieb
Da sich ein Rallyefahrzeug in der Regel am Boden bewegt*, sind die Richtungsangaben stets zweidimensional, nämlich
- links
- rechts
Richtungsweisende Ergänzungen sind natürlich, wo sinnvoll, zulässig. Mehr dazu bei den Zusatzangaben.
*Natürlich gibt es Kuppen, bei denen das Rallyeauto abhebt („jump“ oder „lift“). Allerdings gibt es keine Möglichkeit, in diesem Zustand die Bewegungsrichtung zu beeinflussen. Daher ist dies für unsere Betrachtung hier nicht relevant.
Beschreibung des Kurvenradius im Aufschrieb
Er gibt verschiedene Klassifizierungssysteme, die zum Einsatz kommen können.
Das gängigste im deutschsprachigen Raum ist wohl die Einteilung der Kurvenradien in Werte von 1 bis 5.
Du kannst dir als Eselsbrücke merken: Wie das Zifferblatt einer Uhr, nur die Werte 1–5 in umgekehrter Folge.
Merke: Der Wert gibt stets den Radius an, nicht die Geschwindigkeit, mit der sie gefahren wird!
Die Einteilung ist völlig subjektiv, es gibt keine festen Vorgaben zum Beispiel nach einem Winkelgrad.
Anmerkung zur Kehre: Hier im Sinne des Winkels verwendet. »Kehre« kann auch als Zusatz für eine annähernd 180°-Kurve mit größerem Radius stehen.
Zusatzangaben im Aufschrieb
Hier wichtigsten Zusatzangaben im Aufschrieb. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Zusatzangaben.
- »plus« = etwas schneller
- »minus« = etwas langsamer
- »lang« = Kurve zieht sich lang hin
- »macht auf« = Kurvenradius öffnet zum Ende
- »macht zu« = Kurvenradius schließt am Ende
- »cut« = Kurve kann innen (abseits der Straße) gefahren werden
Viele weitere Hinweise und Ideen zu Zusatzangaben findest Du im »Rallye Beifahrer eBook«.
Ergänze den Schrieb mit eigenen Hinweisen und markanten Merkmalen. Damit du schnell wieder in den Schrieb kommst, wenn du mal heraus- gekommen bist.
Wie das genau funktioniert, erfährst du in einem der nächsten Blogbeiträge.
Tipp/Fazit
Nehmt euch Zeit für Euren Aufschrieb und verfeinert euer System.
Fahrer denkt daran, der Beifahrer muss auch mit der Lesegeschwindigkeit noch nachkommen.
Und du, Beifahrer, du muss vielleicht einfach schneller vorlesen, ohne das die Präzision verloren geht. Und natürlich stets die deutliche Aussprache beherrschen.